Claude Muller, Eine Kathedrale für zwei Bischöfe

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Bildnis von Louis René Édouard, Prinz von Rohan. Bibliothek des Priesterseminars von Straßburg.

Im zweiten Vortrag der Saison 2022-2023 am 19. Oktober 2022 im Münsterhof ging es um die Lage der Diözese von Straßburg vor und nach der Französischen Revolution von 1789. Der dreifach promovierte Geschichtsprofessor (Doktor der Geschichte, der Theologie und der Franz. Philologie) Claude Muller, Leiter des Instituts für elsässische Geschichte an der Universität von Straßburg, Spezialist für das 18. Jahrhundert, hielt einen Vortrag über die beiden prägenden Persönlichkeiten an der Spitze der Diözese, sowie allgemein über die Vorgänge während der kritischen Phase der Revolution. Claude Muller beruft sich auf das 1920 veröffentlichte einschlägige Werk von Rodolphe Reuss, und konnte darüber hinaus die Dokumente der Bibliothek des Großen Seminars einsehen können – berichtet also ergänzend aus einer katholischen Perspektive.

Kardinal Louis de Rohan als vierter Straßburger Fürstbischof dieser Familie, (nach 25 Jahren als Botschafter in Wien, wo er Frankreich nur schlechte Dienste erwiesen und sich bei der Kaiserin und ihrer Tochter unbeliebt gemacht hatte), residierte vor allem in Paris, bzw. in seinem großen Schloss in Saverne. Nur sehr wenige Tage im Jahr verbrachte er in Straßburg – die laufenden Geschäfte wurden von einem seiner Untergebenen geführt, einem Angehörigen des niedrigen Adels, während er das vergleichsweise sehr hohe, mit seinem Amt verbundene Einkommen großzügig für Feste, die Jagd und andere Vergnügungen ausgab. Er verteilte ebenso großzügig auch Zuwendungen an die Armen, wenn er sich in seiner Diözese zeigte.

Der für seine Verwicklung in die Affäre um das Diamantenhalsband für Marie-Antoinette 1785 bekannte Kardinal schaffte es, trotz Inhaftierung wegen Majestätsbeleidigung in der Bastille, vom Pariser ‚Parlament‘ frei gesprochen zu werden. Er hatte sehr starken Rückhalt bei dem Klerus seiner Diözese und konnte, nach einem zweijährigen „Exil“ in der Auvergne, dann in der Touraine, 1788 wieder triumphal in Elsass zurückkehren. Obwohl er sich in ganz Europa der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, übernahm er wieder die Führung in seinem kleinen Reich. Er wurde mitten in einem der strengsten Winter des Jahrhunderts von der gesamten Bevölkerung von Phalsburg, dann von Saverne empfangen, die Reise führte weiter über Straßburg, Benfeld, Colmar, Rouffach, Mützig (wo er sich auch von „seinen“ Juden bejubelten ließ). Genau am 14. Juli 1789 befand er sich zu einem ersten Besuch eines Bischofs seit Beginn des Jahrhunderts in Ettenheim, in der Ortenau. Drei Tage später kehrte er in seine Residenz zurück, und tagte ab August 1789 sogar in der Nationalversammlung in Paris als Vertreter des Klerus. Es handelt sich unter den gegebenen Umständen um eine bemerkenswerte Karriere – abgesichert auch durch den enormen Einfluss und den immensen Reichtum seiner Familie, des mächtigsten französischen Adelsgeschlechts im Ancien Regime.

Ab Februar 1790 verschärft sich die Lage, da die neue französische Verfassung vorsah, dass die Bischöfe gewählt werden und einen Eid auf die Verfassung ablegen müssen. Das widersprach nicht nur dem kanonischen Recht, sondern war auch wahltaktisch äußerst brisant, da das Wahlvolk in Straßburg, wie auch in Colmar, mehrheitlich protestantisch war. Diese Volkswahl widersprach vor allem der ultramontanen, papsttreuen Haltung des Klerus, allen voran des Louis de Rohan, der den Gallikanismus ablehnte und von Ettenheim aus seine Diözese mit Schrifttum überschwemmte, in dem er seinen Rivalen, den Professor für kanonisches Recht Brendel, diskreditierte. Dieser wurde dennoch gewählt, aber der Klerus stand geschlossen hinter dem alten Bischof. Aus dem skandalumwitterten Lebemann wurde ein Fels in der Brandung für traditionell eingestellte Katholiken, dem sogar vom Papst selbst ein Dankesschreiben erhielt. Allerdings um den Preis einer Spaltung der Kirche.

Bei der Wahl von Brendel handelte sich also in der Tat um einen Pyrrhussieg, denn dieser war persönlichen Angriffen ausgesetzt, z.B. wurd er wegen seiner roten Haare als Judas beschimpft. Er musste in deutschen Landen deutschsprachige Priester anwerben, die natürlich nicht gern gesehen waren, während Louis de Rohan von Ettenheim aus, also außer Reichweite der französischen Autoritäten, und bis 1801, weiter als Fürstbischof über den rechtrheinischen Teil seiner Diözese regierte.

In Straßburg kam es 1793 schließlich am 20. November – zehn Tage nach Paris – zu der berühmten Zeremonie in dem zum ‚Tempel der Vernunft‘ umfunktionierten Münster, wo alle Priester ihrem Glauben abschwören müssen. Brendel tut dies erst fünf Tage später, unfreiwillig, während die Bilderstürmer mehr als 200 Skulpturen am Münster zerstören. Nachdem im Januar 1794 die Verehrung des ‚Être suprême‘ einsetzte, trat Brendel zurück. Er starb 1797, und aus seinem Testament ist zu erschließen, dass er in seinem Amt als Bischof nicht entlohnt wurde. Die bewegten Zeiten begannen also in Straßburg nicht erst mit der Revolution, und erst die durchgreifenden Veränderungen mit einer Neuorganisation der Kirche, die Napoleon der Erste 1801 durchsetzte, bewirkten schließlich den Rücktritt von Louis de Rohan.

Sabine Mohr
Ill. : © Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons

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