Der fremde Kavalier und sein Hund

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Besucher auf der Münsterplattform, um 1900.
Ansichtskarte (AVCUS)

Unter allen verwegenen Männern Straßburgs war ehemals Herr Simphorianus Pollio (oder Altbüßer), bei Beginn der Reformation Leutpriester oder Pfarrer zu St. Stephan, und hernach, von 1521 bis 1523, Wickrams Nachfolger in der Predikatur des Münsters und zugleich Pfarrer zu St. Martin, und einer des Straßburgischen Reformatoren und der ersten protestantischen Liederdichter, der Allerverwegensten einer. Eines Tages, so wird unter Anderem von ihm erzählt, stellte er sich auf das Geländer der großen Rheinbrücke, bog sich mit dem ganzen Oberteile des Leibes weit hinaus über den Talweg des Stromes und streckte das andere Bein hinter sich weit hinaus. Ebenso war es ihm ein Kleines, oben auf der Plateforme des Münsters sich aufrecht und gerades Leibes auf das Geländer zu stellen, frei herum zu schauen, in die Ferne und in die Straßen auf die Zahllosen Zuschauer, die sich drunten wegen seiner zusammenscharten und sich ob seine Kühnheit und Vermessenheit verwunderten, und sodann rings herum zu spazieren auf der schmalen Brüstung.

Lange Zeit hernach erzählte man noch zu Straßburg von den lustigen und verwegenen Schwänken und Stücklein des Herrn Zimprian, denn so nannte der gemeine Mann den würdigen Pfarrer, der, immer guter Laune und froher Dinge, bei dem Volke gar sehr geliebt war, und sehr oft durch seine Witze und Späße die Leute also zum Lachen brachte, daß sich alles den Leib halten mußte.

Eines Tages, – es soll zu Anfang des verflossenen Jahrhunderts gewesen sein – war ein vornehmer fremder Kavalier auf das Münster hinaufgestiegen und hörte droben von Herrn Zimprians verwegenem Stücklein erzählen. Dem Fremden gefiel des frommen Pfarrers vielgepriesenen Beherztheit und Behändigkeit. Zur gleichen Zeit reizten die gleichen aber auch seine eigene Vermessenheit.

Eine Schande wäre es doch für einen Edelmann, sagte sich der fremde Herrn in seinem Innern, wenn er nicht vermöchte es einem Pfaffen gleich zu tun.

Auch er, so rühmte er sich, wolle tun was einst Herr Zimprian getan, und machte keck die Wettung, daß er dreimal ohne allen Schwindel und ohne die mindeste Angst, oben auf dem Geländer, rings um das Münster herum gehen würde.

Gesagt, getan! Ein Satz… und droben stand der verwegenen auf der Brustwehr, besah ganz ruhig das schöne Rheintal und die Stadt zu seinen Füßen.

Sodann unternahm er den gefährlichen Gang, und mit Schrecken sahen alle Anwesenden ihn leichten und sichern Fußes dahin gleiten auf der schmalen Brüstung, am schwindlichen, furchtbaren Abgrunde hin, gefolgt von seinem treuen Hunde, der niemals seinen Herrn verließ.

Zu zweien Malen schon war ihm das gefahrvolle, frevelhafte Wagestück geglückt.

Zum dritten Male unternahm er den Gang, und behänden Schrittes glitt er abermals dahin auf der schmalen Oberfläche des Geländers, am schroffen Abhange.

Bereits nahte er wieder dem Punkte, von welchem er ausgegangen war.

Nur wenige Schritte noch, und das Ziel war erreicht!… Schon glänzte dem verwegenen die Siegesfreude in dem Auge, und Allen, die das Wagestück mit ansahen, wurde das Atmen wieder leichter.

Da ergriff mit einem Male jäher Schwindel den unglücklichen Fremdling und stürzte ihn hinunter, rettungslos verloren, in den schauderhaft gähnenden Abgrund, über dem er so eben noch mit so zuversichtlichem Übermute dahineilte!

Und siehe! Nach ihm schwang sich mit gewaltigem Sprunge der Hund, hinunter in die Tiefe! Das treue Tier!  Zerschmettert lag es doch noch drunten bei seinem Herrn, den es im Tode wie im Leben nicht verließ!

Louis Schneegans, Strasburger Münster-Sagen

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