Georges Schlosser, Die Geschichte des Münsterhofs vor 1789

Der langjährige Verwaltungsdirektor des seit 1909 so genannten Münsterhofs in der rue des Juifs Nr. 9 (Gemeindezentrum des Münsters seit 1911) Georges Schlosser berichtete am 13. November im großen Saal anschaulich und leidenschaftlich über das Leben der Maurerzunft, von der Errichtung des Gebäudes im Jahre 1506 als Sitz und Versammlungsort dieser Zunft (« Stube ») bis zum Verbot und zur Auflösung der Zünfte in der Französischen Revolution (1791 loi Chapelier). In diesem zweiten Vortrag der gemeinsamen Reihe der Stiftung unsere Lieben Frau und des Münstervereins ging es um die baulichen Gegebenheiten, die Organisation und die Amtsträger dieser 20. Zunft der Freien Reichstadt Straßburg (bei Sitzungen und Umzügen usw. die letzte in der Reihe der Zünfte), um wichtige städtische Ereignisse in diesen Mauern wie auch um Verbindungen und die Abgrenzung zur Münsterbauhütte.

9_rue_des_Juifs_Strasbourg_37774
Der Baum der Unsterblichkeit.

In der Zunft der Maurer waren nicht nur zusätzlich die Steinmetzen, Bildhauer und Gipser vertreten, sondern auch die Pflasterer, Dachdecker, Häfner, Kaminfeger, Kachelhersteller und Ziegler, sowie nach 1681 die Steingut- und Porzellanhersteller (letztere waren von dem nächtlichen Wachdienst ausgenommen, die alle anderen Mitglieder an der Stadtbefestigung leisten mussten). Die Mitglieder waren sehr zahlreich – zwischen 145 und 170 Personen, davon etwa ein Drittel Witwen ehemaliger Mitglieder, die von der Zunft finanziell unterstützt wurden – und trafen sich in dem großen Saal im ersten Stock, dem heutigen Festsaal. Dort mussten sie sich zu Versammlungen einfinden, um über neueste Beschlüsse des Magistrats unterrichtet zu werden, zunftinterne Entscheidungen zu treffen und den Zunftgerichten beizuwohnen. Die 14 Mitglieder des Schöffenrats waren auf Lebenszeit berufen, andere Amtsträger hingegen stellten sich alle 4 Jahre oder jährlich zur Wahl.

Das Gebäude selbst, auf einem Grundstück von ca. 900 m2, beherbergte den Versammlungsraum (mit einem sehr großen rechteckigen Tisch und 16 Bänken ohne Lehne, zwei Kachelöfen und einer Ecke für den Sekretär), einen Wohnraum für den Hausmeister (der nach 1681 vertraglich auf Zweisprachigkeit verpflichtet war ; das heutige Hausmeistergebäude im Hof ist viel späteren Datums), einen Hof mit Brunnen, dahinter einen Garten mit mehreren Feigenbäumen (deren Abkömmlinge möglicherweise immer noch dort wachsen), Apfel- und Birnbäumen. Dort gab es einen Ausgang zur Sackgasse hin, die immer noch existiert (Impasse des Echasses). Der Abort, der Lagerraum für Holz, eine Remise für die Wagen der Würdenträger, die weiter entfernt wohnten, sowie eine Steinmetzwerkstatt befanden sich im Erdgeschoss und im Hof. Um zusätzliche Einkünfte für laufende Kosten und milde Gaben (es gab einen Almosenschrein) zu erwirtschaften wurden der Garten und viele Räume vermietet, z.B. das Dachgeschoss als Lagerraum für die städtischen Getreidereserven und der Keller an die Brauerei Schützenberger – dort lagerten allerdings auch die 4000 Liter Wein für den Eigenverbrauch der Zunft. Selbst der große Saal diente wochentags als Unterrichtsraum für die Artilleristen, als Vorstellungsraum für die « deutsche Operetta » mit Tanz, Musik, lustigem Narrenspiel und Seiltänzern, und dem Tanzlehrer Durand für seine Tanzstunden.

Das Studium der zahlreichen im Stadtarchiv noch vorhandenen Akten liefert genaue Auskünfte über illustre auswärtige Gäste, so die Versammlungen bzw. Wettbewerbe der Meistersänger, die hier in der Stub der Maurerzunft zwischen 1540 und 1550 stattfanden. Auch die berühmte Delegation aus Zürich kam 1576 nach ihrer Ankunft in der Nähe von St. Guillaume (wo die die Namen von Straße und Platz sowie ein Denkmal an dieses Ereignis erinnern) mit ihrem noch warmen Hirsebrei hierher in den Saal, wo sie mit einem Bankett bewirtet wurde. Die mehr als 50 Schweizer verbrachten eine Woche in der Zunftstube, übernachteten aber im Hotel « Zum Hirsch » in der Nähe.

Es bestanden zahlreiche Beziehungen zum Stift Unserer Lieben Frau und der Münsterbauhütte mit ihren Architekten (Werkmeistern), Steinmetzen und Bildhauern, auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Qualität der von den Zunftmitgliedern geleistete Arbeit nicht immer an die der Münsterbauspezialisten heranreichte. Alle Gesellen, die Meister werden wollten, mussten der Münsterbauhütte angehören, bevor sie die Meisterprüfung in der Zunft ablegen durften, und alle Werkmeister der Zunft mussten vom Magistrat (der das Stift verwaltete) als Maurermeister anerkannt sein, ebenso wie die Architekten des Stifts. Eine ganze Reihe von Meistern war sowohl in der Münsterbauhütte, wie auch für die Zunft tätig. Ja es gab richtige Pöstchenjäger, die nicht genug bekommen konnten von Würdenämtern und den dazugehörigen Einkünften. Die Maurerzunft wurde 1791 aufgelöst, während die Münsterbauhütte zunächst unter städtischer Verwaltung weiterbestand und sich dann ab 1803 wieder selbst verwalten durfte.

Sabine Mohr
Ill. : Wilfred Helminger

Nach oben scrollen