Jean-Paul Lingelser, Neue Erkenntnisse zur Frühzeit der Reformation im Strassburger Münster

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Portrait de Matthieu Zell, Th. de Bry, 1650

Die gemeinsame Vortragsreihe des Straßburger Münstervereins und der Frauenhausstiftung begann am Mittwoch dem 11. Oktober 2017 mit einem Beitrag von Jean-Paul Lingelser. Vor dem vollbesetzten Saal im Münsterhof (Rue des Juifs) ging es um neue Erkenntnisse zur Frühzeit der Reformation im Straßburger Münster, speziell die noch vorhandenen Spuren der ca. 150 Jahre währenden protestantischen Nutzung des Gotteshauses, und die daraus zu ziehenden Rückschlüsse betreffs der liturgischen Organisation in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts. Das Münster, der Stolz der Stadt, wurde vielfältig genutzt, auch als Ort kommunaler Selbstdarstellung (Ausstellung von in siegreichen Kriegszügen erworbenen Bannern). Gottesdienste fanden im für das Domkapitel reservierten Chorraum hinter dem noch vorhandenen Lettner, und an den sehr zahlreichen Altären in den Schiffen statt. Im Zuge der reformatorischen Bewegung wurden, durch den Magistrat der Stadt veranlasst, nach und nach bis 1530 Bildwerke jeder Art entfernt oder übermalt. Im Sinne der Reformation traten anstelle dieser figürlichen Darstellungen Bibeltexte in großen, also für die Gläubigen gut lesbaren, aber auch prachtvoll kalligraphierten Buchstaben.

Die monumentale Inschrift in den Zwickelfeldern des Vierungsbogens von 1531 ist wohl direkt nach 1681 entfernt (als nach der Kapitulation von Straßburg und der Übernahme der Stadt durch die Franzosen das Münster wieder katholisch wurde), und durch eine Darstellung des letzten Gerichts ersetzt worden, die auch in dem neugotischen Fresko von 1878 erscheint. Zu lesen waren Auszüge aus den Markus- (1,14-15) und Matthäusevangelien (25, 34-35 u. 41-42), wie in der ersten dem Münster gewidmeten Monographie von Oseas Schadoeus (Osée Schad): Summum Argentoratensium templum (1617) zu sehen ist.

Im nördlichen Vierungsarm ist ein solcher Text erstaunlicherweise erhalten. Es handelt sich um eine stark beschädigte goldene Inschrift auf dunkelblauem Grund, in den Feldern zweier Blendbogen an der Ostwand, die als Wiedergabe der Gesetzestafeln Abrahams, also der Zehn Gebote identifiziert werden können. Links daneben befindet sich ein monumentales Ziborium, der Altarüberbau des verschwundenen Altars der Laurentiuskapelle, die der Laurentiusgemeinde diente, deren Pfarrer der virulente Matthias Zell war, der Lutherische Schriften in Straßburg verbreitete und von deren Kanzel (1794 entfernt) er predigte, bis ihm der Zugang zur Kanzel verwehrt wurde. Man war irrtümlich davon ausgegangen, dass es sich um die große steinerne Kanzel des Johann Geyler von Kaysersberg im Hauptschiff handelte, aber diese wurde nur zu sehr hohen Festtagen genutzt.

Das Bemerkenswerte an der besagten Inschrift ist, dass sie dem deutschen, Lutherischen Text der Vulgata nur teilweise folgt, und die Straßburger Reformatoren sich die Freiheit nahmen, teilweise dialektale, volksnahe Textvarianten einzufügen. Der Vortragsredner schloss mit einem Appell, das Lutherjahr zum Anlass zu nehmen, diese historisch und lokalhistorisch wertvolle Inschrift zu restaurieren, um ein ökumenisches Zeichen zu setzen.

Sabine Mohr
Ill. : www.bnu.fr

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