Beat Föllmi, Gesang und Liturgie im Straßburger Münster in protestantischer Zeit

4.13
Beat Föllmi, Professor für Musikwissenschaft und Hymnologie der evangelischen theologischen Fakultät an der Straßburger Universität, sprach am Mittwoch, dem 22. November im Straßburger Münsterhof im Rahmen der gemeinsamen Vortragsreihe des Münstervereins und der Frauenhausstiftung vor einem zahlreichen Publikum zum Thema der Verbindung zwischen Gesang und Liturgie. Zunächst ging es um die liturgische Praxis im 15. Jahrhundert, die in Folge einer langen Entwicklung seit Ende des 13. Jh. von einer starken Einflussnahme der städtischen Regierung auf die liturgischen Aktivitäten im Schiff geprägt war (mehr als 40 Altäre, an denen Messen gelesen wurden, darunter die tägliche Frühmesse unter dem Lettner an dem mit städtischen Pfründen ausgestatteten Altar, und der Einsatz der großen Schwalbennestorgel mit den „Rohraffen“, z.B. bei der sehr volkstümlichen Pfingstmontagsmesse), während der Chorraum hinter dem Lettner (erst Ende des 17. Jhs. entfernt) den Chorherren des Hochstifts bzw. deren für musikalische Zwecke bestellten Stellvertretern für die Zelebration der sonntäglichen Hochmesse diente, wobei die Chororgel sowie zahlreiche Sänger (zu großen Anlässen bis zu 200 aktiv Mitwirkende) sowie Glockengeläut und Pauken usw. zum Einsatz kamen. Der große Münsterraum wurde zu festlichen Anlässen, z.B. dem Empfang fürstlicher Besucher der Stadt, oder bei Gedenkfeiern großer städtischer Siege, sowie zu zahlreichen kirchlichen Festen u. A. zu theatralischen Aufführungen genutzt.

In reformatorischer Zeit, d.h. zwischen 1524 und 1681, blieb das katholische Domkapitel bestehen. Die vom Magistrat in Folge der reformatorischen Bestrebungen beschlossene Abschaffung der Messe 1529 (sowie nach und nach in den Klöstern, im Bürgerspital usw.) brachte z.T. radikale Veränderungen, auch wenn die große Orgel weiterhin genutzt wurde. Der Ablauf der eucharistischen Gottesdienste unterschied sich nicht wesentlich von der traditionellen Messe, aber neue Formen des Gottesdienstes wurden eingeführt, das Vaterunser kam hinzu, es wurde in Umgangssprache zelebriert, der Altartisch ins Zentrum platziert, der Pfarrer war während der Messe den Gläubigen zugewandt, und alle Gläubigen sangen mit. Die Kantoren sind jetzt ausgebildete Musiker bürgerlicher Herkunft. Bis zur zeitweiligen Wiedereinführung der katholischen Liturgie wurden fast nur Psalmen gesungen (im Gegensatz zur Lutherischen Praxis in Wittenberg). Der berühmte Straßburger Psalter von 1525 enthält 250 Psalmentexte in verschiedenen Paraphrasen, aber alle Texte blieben nah am Bibeltext. Es gab nur noch eine eucharistische Messe pro Tag, keine parallelen Messfeiern mehr an den jetzt abgeschafften Nebenaltären, Pilger wurden nicht mehr empfangen, und alle kirchlichen Feste, sogar Weihnachten und Pfingsten, sowie das Glockengeläut bei Hochzeiten und Beerdigungen abgeschafft. Dafür wurden 1526 für die Wochentage vier Gottesdienste eingeführt, an Sonntagen sechs, davon mehrere Predigtgottesdienste, und an allen sollte mindestens ein Mitglied jeder Familie teilnehmen. Große Namen der protestantischen Kirchenmusik sind der Kantor Mathias Kreiter und Wolfgang Dachstein, Organist im Münster und Komponist zahlreicher Messgesänge.

In der Interimszeit (in Folge des Augsburger Interims, in Straßburg 1550 bis 1561) kam es nur zu Beginn und am Ende zum Versuch, auch die katholische Messe zu feiern, jedes Mal begleitet von heftigen Ausschreitungen. Das Ende der protestantischen Ära war sehr abrupt: Straßburg wird 1681 französisch, Ludwig XIV verlangt die Rückkehr des Bischofs in die Stadt, mit der Würde eines Fürstbischofs und Kardinals. Die Übernahme der politischen Macht in der Stadt durch einen König, der sich als Vertreter des Katholizismus versteht, äußert sich durch eine immense Prachtentfaltung im Rahmen der wieder eingeführten katholischen Liturgie im Münster.

Sabine Mohr

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