Der Historiker Nicolas Lefort hielt am 16. Oktober einen Vortrag in der vom Straßburger Münsterverein und der Fondation de l’Œuvre Notre-Dame gemeinsam veranstalteten Vortagsreihe. Er stellte die zahlreichen Zuhörer in den Bann von Johann Knauth, indem er insbesondere der Frage nachging, wie die Erinnerung an den Münsterbaumeister gestaltet wurde. Zunächst gab er einige willkommene chronologische und biographische Eckdaten und befasste sich anschließend mit zwei unterschiedlichen Erinnerungsphasen.
Die erste Phase umfasst die Jahre 1924 bis 1945 und war eine Zeit der „schmerzhaften Erinnerung“. Sie zeigte eindrücklich, wie schwer es damals fiel, sich objektiv und ausgeglichen mit dieser Persönlichkeit zu befassen. Johann Knauth verstarb am 8. Februar 1924, doch in den folgenden Tagen wird sein Ableben mit keinem Wort in der französischsprachigen Presse erwähnt. Die Berichterstattung mit hämischen Überschriften befasst sich ausschließlich mit der (posthumen) Abweisung seiner Klage vor dem Colmarer Berufungsgericht. Die deutschsprachige Presse dagegen veröffentlicht einen recht lobenden Nachruf auf ihn. Als in 1926 die Restaurierungsarbeiten des Turmpfeilers abgeschlossen sind, wird sein Name bei den offiziellen Feierlichkeiten nahezu nirgends erwähnt. Vier Jahre später wird er als „pensionierten Stadtarchitekten“ bezeichnet – ein grober Fehler, da er seinerzeit entlassen wurde und entsprechend keine Pension bezog. Doch in der Einleitung der Ausgabe vom Münsterblatt 1932 erinnert der Münsterverein an die entscheidende Rolle Knauths. Damit wird deutlich, wie gespalten die Erinnerung an ihn ist.
Der zweite Teil des Vortrages leitet die Phase der „Wiederentdeckung“ ein. Letztere erfolgte wahrlich nicht von einem Tag auf den anderen, denn die Nachkriegszeit zeichnete sich zunächst durch eine starke Haltung des Vergessens aus. Man bedenke, dass in dieser Zeit ein Generationenwechsel stattfand – die neuen Verantwortlichen hatten Knauth selbst nicht mehr persönlich gekannt –, zudem sah man sich anderen Prioritäten konfrontiert, wie etwa der Rückführung des Elsass in die französischen Gepflogenheiten und dem Wiederaufbau. Dies erklärt möglicherweise, dass erst 1974, also 50 Jahre nach seinem Tod, die Bezeichnung „Retter des Münsters“ auf seinen Grabstein in Offenburg angebracht wurde. Zu der Gelegenheit wurde er in einer feierlichen Kundgebung geehrt. Etwa gleichzeitig dazu war eine Petition in Umlauf gebracht worden, die die Stadt Straßburg aufforderte, eine Straße nach ihm zu benennen – allerdings ohne zu einem Konsens zu führen. Nicolas Lefort hat es nicht versäumt, die Geschehnisse in ihrem allgemeinen Kontext zu orten, um diesen Ansatz einer wiedererlangten Gunst zu erklären. Es war in der Tat die Zeit der deutsch-französischen Aussöhnung, zudem steigerte sich nach und nach das Interesse für die Zeit des Reichslands. Allerdings war auch von 2012 bis 2015 bei weitem nicht alles selbstverständlich. Ein Denkmal sollte zu seinen Ehren errichtet werden, doch welches? Und wo sollte es aufgestellt werden? Streitereien, Meinungsverschiedenheiten und Ablehnung häuften sich, bis schließlich eine Gedenktafel am Münsterplatz angebracht wurde. Eine Tafel, die nicht jedem genehm ist.
Würde man nun dank dieser Tafel sagen können „Ende gut, alles gut“? Eher nicht, denn man würde unterschlagen, dass am 8. Februar dieses Jahres kein einziger Artikel in der Presse erschien, der Knauth zu seinem hundertsten Todestag gewürdigt hätte. Dabei scheint diese mangelnde Erinnerung das Los mehrerer Architekten zu sein. So beispielsweise erging es auch Henri Deneux, der von 1915 bis 1938 der Baumeister der Kathedrale von Reims war. Zwar stammte Deneux selbst aus Reims, doch starb er in Armut und trotz seiner großen Leistungen in völliger Vergessenheit. Er wurde erst im Jahre 2011 geehrt.
Womit gezeigt wurde, dass der Weg zum Ruhm über mehr oder minder lange Pfade und Irrwege führt, doch sind diese wohl unumgänglich, um eines Tages doch gebührend gewürdigt zu werden…
Nicolas Lefort
Übersetzung: Stéphanie Wintzerith