Die Georgskirche auf der Insel Reichenau

Die Georgskirche auf der Insel Reichenau bietet etliche kulturelle, erbauliche und humorvolle Überraschungen.

Was ist der Unterschied zwischen einem Kreuz und einem Kruzifix? Nein, es geht nicht um die Größe, sondern um die Darstellung. Ein Kruzifix, hergeleitet von seiner lateinischen Etymologie – cruci fixus, an einem Kreuz befestigt –, gibt immer eine Darstellung des gekreuzigten Jesus Christus zu sehen. Das Kreuz dagegen ist nur das hölzerne Element, ohne Darstellung Christi.

In der Georgskirche sind zwei Arten von Kruzifixen vorhanden: der glorreiche Christus und der leidende Christus. Ersterer stammt aus der Romanik: Jeder Fuß ist von einem Nagel durchbohrt, Christus hält seinen Kopf gerade. Nichts an seinem Körper deutet auf Leiden hin, denn er erscheint als Auferstandener mit einem festen und schönen Körper, der den Tod besiegt hat. Ein Kruzifix mit leidendem Jesus hingegen stammt aus der Gotik: Beide Füße, übereinander gekreuzt, sind von einem einzigen Nagel durchbohrt, der Kopf ist zur Seite geneigt und der ausgemergelte Körper zieht nach unten. Der Ausdruck des Leidens ist dominant.

Bei der Ausschmückung einer Kirche wird nichts dem Zufall überlassen. In ein und derselben Kirche sind die Wände des Kirchenschiffs auf jeder Seite anders verziert. Die Wand auf der linken Seite ist mit Darstellungen von Szenen aus den Evangelien geschmückt, die in Verbindung mit dem Wasser stehen: Dämonen klettern aus einem besessenen Menschen heraus und dringen stattdessen in ins Wasser springende und ertrinkende Schweine ein; der sturm auf dem See ist ein weiteres Motiv. Die Wand auf der rechten Seite, dagegen, enthält ausschließlich Szenen, die mit dem Tod verbunden sind – darunter den von den Toten auferweckten Lazarus. Weshalb diese thematische Zusammenstellung? Die linke Seite blickt auf das Seeufer, also auf das Wasser, während sich auf der rechten Seite des Kirchenschiffs der Friedhof der Mönche befand – was man im Vorfeld wissen muss.

Allerdings ist die Kultur dort nicht immer nur religiös, wie es ein kurioses, an derartiger Stelle unerwartetes Spottbild zeigt. An der Nordwand ist eine frauenfeindliche Szene zu sehen, die das Geschwätz der Frauen anprangert. Von dieser Anklage sind hochrangige Frauen keineswegs ausgespart: Dargestellt sind zwei Damen mitten in einer lebhaften Unterhaltung, ihre gekrönten Häupter dicht aneinander geneigt und die Hände in einer expressiven Geste bewegend. Unter den beiden gesprächigen Damen tragen vier Teufelchen eine Kuhhaut, auf der ein weiterer Teufel sitzt und ein Gedicht aufschreibt (verfasst?). Sein Gedicht: „Ich will hier von diesen dummen Weibern schreiben. Was hier nichtiges Blabla in der Woche geredet wird, all dessen wird gedacht werden, wenn es einmal vor den Richter gebracht wird“. Man bedenke: Es ist die erste bekannte schriftliche Überlieferung (14. Jahrhundert) des lautmalenden Ausdrucks „Blabla“, der sich heutzutage großer Beliebtheit erfreut. Gleichzeitig bezieht sich der Spott vor allem auf die wohl bekannte deutsche Redewendung „Das geht auf keine Kuhhaut“, mit anderen Worten: unglaublich, wieviel Klatsch sie in einer einzigen Woche hinbekommen, was sie alles anstellen können.

Ja, das Reisen bildet in vielerlei Hinsicht!

Francis Klakocer
Übersetzung: Stéphanie Wintzerith

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