Die Kunsthistorikerin Miriam Göldl (M.A.) stellte in ihrem Vortrag im Münsterhof am 22. Januar 2025 sehr ausführlich die berühmte Münsterkanzel von 1484/1485 vor. Es ging zunächst um eine eingehende Analyse und Würdigung der originellen architektonischen Leistung des Architekten Hans Hammer. In einem zweiten Teil schlug Miriam Göldl eine Interpretation dieses herausragenden Ausstattungsstücks vor: als inoffiziellen Meisterstück ihres Schöpfers, und als Beweisstück für die Überlegenheit der Straßburger Bauhütte. Hans Hammer verfolge eine « Überwältigungsstrategie » mit dieser spektakulärsten seiner Schöpfungen.
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Die im Gesamtaufbau klar lesbare Architektur der Kanzel aus Sandstein – mit Sockel, Maßwerkschleier und Kanzelkorb – wirkt zugleich verwirrend vielteilig in ihrer Formenvielfalt, ausgehend vom kleinsten Detail bis hin zu den übergreifenden Formelementen wie den Wimpergen. Die zahlreichen Figuren, z.T. aus Alabaster, tragen zur Gesamtwirkung bei. Sie entstanden zu verschiedenen Zeiten und waren möglicherweise nicht alle ursprünglich für die Kanzel bestimmt. Der Vortrag konzentrierte sich jedoch auf die architektonischen Elemente.
Am Kanzelfuß variiert der Sockel in verschiedenen horizontalen Schichten die Form des 6-Ecks mit 3-, 6- und 12-eckigen Elementen. Auch die Profile sind differenziert gestaltet. Die Konsolen der Skulpturennischen im Schleiermaßwerk haben dagagen den 8-eckigen Stern, die Dienstsockel wiederum den Kreis als Grundform. Die Dienste selbst sind zwei- bzw. dreistöckig ausgebildet, glatt, gerade kanneliert oder links- bzw. rechts-torsadiert. Der Kanzelkorb zeichnet sich nicht durch neue Formvarianten, durchaus aber durch eine noch größere Häufung der Schmuckformen aus. Trotz extremer Komplikation – die in den erhaltenen Aufrissen noch gesteigert erscheint – entstehen alle Formen, Varianten und Kombinationen mit Lineal und Zirkel aus den Grundformen Kreis, Quadrat und Dreieck.
Als eine Straßburger ‘Spezialität’ können die übereinandergreifenden Wimperge angesprochen werden. Man begegneten ihnen zunächst im nördlichen Querhaus am Taufstein von Jost Dotzinger (1452-54), dem Vorgänger von Hans Hammer, der möglicherweise auch sein Lehrmeister war. Dieser ‘zitiert’ auch den Nordturm. Etwas päter begegnet man diesen verschränkten Wimperge am nördlichen Laurentiusportal. Sie schaffen Kohärenz, es handelt sich um eine Art integratives architektonisches Element für das gesamte Münstergebäude.
Über das Leben von Hans Hammer ist wenig bekannt und es gibt kein Werkverzeichnis. Er muss um 1440/45, vielleicht in Straßburg, geboren worden sein. Die Bibliothek Wolfenbüttel bewahrt sein Werkmeisterbuch, in das er zahlreiche technische Notizen verzeichnete, aber auch die Geburten seiner Kinder. Im Jahre 1476 arbeitete er bei der Niederlegung verschiedener Straßburger Klöster während der Burgunderkriege mit. Danach geht er auf eine mehrjährige Reise. Stationen sind Erfurt, Meißen, Prag, Wien und Ungarn. Sein Werkmeisterbuch enthält, ungewöhnlicherweise, eine deutsch-ungarische Wörterliste. Nach seiner Rückkehr nach Straßburg erlangt er durch Heirat das Bürgerrecht. Er wird zum Werkmeister, dann zum Münsterbaumeister ernannt. Sein ältestes Straßburger Werk ist ein, heute zerstörtes, Sakramentshaus, danach schuf er die Kanzel und andere, weniger spektakuläre Ausstattungsstücke. Zeitweise verlässt er seine Stelle als Baumeister und arbeitet für den Bischof. So errichtet er in Zabern eine bescheidenere Version einer steinernen Kanzel. Danach und bis zu seinem Tod ist er wieder Baumeister in Straßburg. Als solcher, vermutet Miriam Göldl, trug er mit seiner äußerst kunstreich erarbeiteten Kanzel zur Anerkennung der theoretisch allen anderen süddeutschen Bauhütten übergeordneten Straßburger Bauhütte bei – eine Stellung, die ständig legitimiert werden musste, das die Konkurrenten sie nicht unbedingt anerkannten.
Sabine Mohr
Ill. : © Ralph Hammann – Wikimedia Commons