Louis-Napoléon Panel, Das Gehäuse der astronomischen Uhr im Straßburger Münster: Geschichte und Restaurierungen

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Louis-Napoléon Panel, Konservator der staatlichen Denkmalpflege DRAC in der Region Grand Est, hielt im Rahmen der gemeinsamen Vortragsreihe des Straßburger Münstervereins und der Liebfrauenstiftung am 16. Mai 2018 einen sehr gut besuchten Vortrag über die astronomische Uhr des Münsters, wobei das Gehäuse dieser monumentalen Rechenmaschine im Mittelpunkt stand, das trotz seiner kunsthistorischen Bedeutung oft wenig Beachtung findet.

Der heutige Betrachter bewundert die außergewöhnlichen Qualitäten des Mechanismus, wobei aber die religiöse Botschaft vom teleologischen Charakter der irdischen Zeit in den Hintergrund rückt. Dabei ist gerade der südliche Querhausarm mit dem „Engelspfeiler“ (eigentlich einer Darstellung des Jüngsten Gerichts), sowie dem reichen ikonografischen Programm der Südhausfassade mit der Kombination aus Vanitas- und Gerichtsthematik (drei bzw. vier Sonnenuhren, die auch der Einstellung der astronomischen Uhr dienten, Salomon am Trumeaupfeiler) besonders reich an warnenden Hinweisen auf die Letzten Dinge. Abgesehen auch von dem emblematischen Charakter dieses Bauteils des Münsters (mit dem Beginn der Übernahme der Formen der französischen Hochgotik 1220-40), bedarf es einer besonderen denkmalpflegerischen Zuwendung in Hinblick auf das Gehäuse der Uhr, weil es in großen Teilen älter als das Räderwerk in seinem Inneren ist: während der heute zu bewundernde, dritte Mechanismus von Jean-Baptiste Schwilgué zwischen 1838 und 1843 völlig neu gebaut wurde, kam es zu einer teilweisen Wiederverwendung des Gehäuses der zweiten astronomischen Uhr (begonnen 1547, während des Interims unterbrochen, dann 1558 bis 1562 fertiggestellt). Die erste, 1354 eingeweihte Uhr, befand sich ebenfalls im südlichen Querhaus, allerdings an dessen Westwand (der dort noch sichtbare große eingravierte Kreis wird z.T. als Spur ihres Zifferblatts gedeutet), und nicht wie ihre beiden Nachfolger an der Ostwand, wo sie den Platz eines Altars einnahmen, da die Nische im Mauerwerk mehr Platz für das sehr voluminöse Uhrwerk bot, und sie dort auch besser sichtbar waren. Dokumentiert ist die erste Uhr nur durch Beschreibungen und wenige archäologische Reste. Überreste der zweiten, bis Ende des 18. Jhs. funktionstüchtigen Uhr, sowie der krähende, flügelschlagende Hahn der ersten Uhr (um 1350, ältestes Exemplar dieser Art), befinden sich im Straßburger Kunstgewerbemuseum. Teile der tragenden Struktur in spätgotischem Stil von 1547- 48 sind im Erdgeschoss hinter der klassizistischen Verkleidung vorhanden.

Die astronomische Uhr präsentiert sich heute als eine in ihrem zentralen Teil 18 m hohe komplexe, asymmetrische  Struktur, die im Wesentlichen dem Modell ihres Vorgängers folgt, wobei die Veränderungen durch den neuen Mechanismus bedingt waren: über einem gemeinsamen Sockelgeschoss rechts die Wendeltreppe, die den Zugang zum Inneren des zentralen „Turms“ und zu dem Zifferblatt an der südlichen Querhausfassade ermöglicht, das über ein 6 m langes Kabel mit der Uhr verbunden ist. Der mittlere Teil des Gehäuses für den Mechanismus an sich, mit seinen großen Zifferblättern bzw. Skalen und mehreren Automaten, im oberen Teil konvex vorkragend (aus Holz in Sandsteinimitat, eine Veränderung des 19. Jhs. im Vergleich zu dem Renaissance-Gehäuse), mit bekrönendem Gesims und Figurenschmuck, davor ebenerdig der Himmelsglobus mit 5000 Gestirnen. Links der 15 m hohe Aufbau für die Gewichte. Das metallene Schutzgitter ersetzt eine Balustrade aus der Mitte des 19. Jhs., der wohl mehrere andere Schutzvorrichtungen voraus gingen. Das Gehäuse wurde im 19. Jh. generalüberholt: neu gestrichen, lackiert, vergoldet und z.T. verändert, die Gemälde und Statuen sind teilweise erhalten (das Programm steht im Einklang mit dem Protestantismus lutherischer Prägung, dem Straßburg ab 1570 – nach einer ersten strengeren, bilderfeindlichen Phase ab 1521 – anhing: Erschaffung Evas, Auferstehung, Letztes Gericht usw.), die ikonografische Ausstattung wurde aber ergänzt (z.B. durch Grisaillemalereien an der Bekrönung). Bemerkenswert ist u.a. das Portrait von Kopernikus, das im Rahmen diplomatischer Annäherungen 1973 für eine Ausstellung nach Polen verliehen wurde.

Seit 2006 werden die Belange der dem Staat gehörenden, aber der kirchlichen Verwaltung der Kathedrale zum Gebrauch überlassenen astronomischen Uhr von einem 10köpfigen unabhängigen Komitee überwacht. Die Restaurierungen der letzten 150 Jahre sind nur teilweise dokumentiert, u.a. im städtischen Archiv und im Archiv der Liebfrauenstiftung. Der Konservator appelliert an Privatpersonen, die eventuell im Besitz von z.B. Fotografien sind, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Im Rahmen der aktuell laufenden Restaurierungsarbeiten am südlichen Querhaus wurde die astronomische Uhr besonders geschützt, um Verschmutzung und Korrosion zu verhindern. Im Juni 2017 wurde ein Bericht über den aktuellen Zustand des Uhrengehäuses erstellt, und im Zuge dieser Untersuchung sollen andere denkmalpflegerische Fragen wie Schädlings- und Pilzbefall abgeklärt, eine detaillierte fotografische Dokumentation angelegt, die bauhistorischen Befunde (z.B. Steinmetzzeichen) dokumentiert werden, um eine verbesserte, aktualisierte Quellenlage zu schaffen. Fazit des Konservators: Es gibt noch viel zu entdecken.

Sabine Mohr
Ill. : Diliff — Travail personnel, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31538980

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