Unter den Skulpturen des Münsters sticht die Statue der heiligen Elisabeth von Thüringen an der Seite der Katharinenkapelle hervor. Schauen wir uns dieses Werk an.
Von der Biographie zur Geschichte
1207 als Tochter eines Königs im Norden Ungarns geboren, wurde sie im Alter von vier Jahren mit dem Sohne des Herzogs von Thüringen verlobt, an dessen Hof sie fortan aufgezogen wurde. Im Alter von dreizehn Jahren wurde ihre Hochzeit gefeiert und sie gebar bald drei Kinder; die Familie lebte auf der Wartburg in Eisenach. Von da an setzte sie ihre wohltätige Nächstenliebe fort, wie das Rosenwunder in ihrer Hagiographie es nachweist. Nach dem Tode ihres Mannes, wurde sie von ihrem Schwager aus dem Palast vertrieben, aber erhielt später dank der Unterstützung des Kaisers ihre Rechte wieder zurück. Geprägt vom Geist der Armut, den das Evangelium so hochschätzt, ließ sie sich in einer Einsiedelei im hessischen Marburg nieder und legte 1230 ihre Gelübde im Dritten Orden der Franziskaner ab. Niemals an Mitteln sparend, finanzierte sie von ihrem eigenen Geld ein Krankenhaus und hörte nie auf, sich den Bedürftigsten, vor allem den Kranken, zu widmen. Sie starb 1231, im Alter von 24 Jahren.
Warum steht ihr Standbild in unserem Münster? Die Entscheidung, es hier zu aufzustellen, wurde wahrscheinlich von Bischof Berthold von Buchegg getroffen, der die Katharinenkapelle zwischen 1331 und 1349 für seine eigene Bestattung errichten ließ. Einer von Elisabeths Schwagern, Konrad von Thüringen, war Großmeister des Deutschen Ordens gewesen. Nach Elisabeths Tode übernahm er das Krankenhaus und erbaute eine große Kirche für die Wallfahrt zu ihrem Grab. Für die Ritter dieses Ordens war Elisabeth daher von besonderer Bedeutung. Berthold von Buchegg war vor seiner Wahl in Straßburg selbst Komtur des Deutschen Ordens in Koblenz. Dies erklärt wahrscheinlich, warum dieses Standbild in unserem Münster steht.
Von Kunst zur Religion
Das Standbild darf man mit Fug und Recht ein Kunstwerk nennen. Die Figur ist ästhetisch wohlgelungen, ohne jegliche Steifheit und mit einem eleganten Kontrapost. Er macht sich am leicht hervortretenden rechten Knie bemerkbar und ist auch am nach links geneigten Kopfe und der sanften Krümmung von der Schulter bis zum rechtem Arm zu erkennen. Ganz zu schweigen von den vielen Falten in ihrer Kleidung, die sich zu kunstvollen Draperien zusammenschließt und den Betrachter staunend zurücklässt. Das Gesicht ist lieblich, mit Lippen, die ein leichtes Lächeln umspielen; der dünne Nasenrücken reicht bis zu den Wimpernbögen, deren Rundung vom zarten Oval des Gesichts aufgenommen wird. Mit einem Worte: die Anmut, in all ihrer Fülle, einer Frau, die schön wie ein in Stein gehauener Traum ist…
Diese Skulptur ist auch eine Erinnerung an mittelalterliche Bräuche, die Statue stammt nämlich aus dem 14. Jahrhundert. Die Heilige ist von Kopf bis Fuß bekleidet, Zeichen einer Sittsamkeit, die nur ihr Gesicht und ihre Hände sehen lässt. Ihr Haupt wird von einer bescheidenen Krone überragt, Anspielung auf ihren Rang. Das Mißverhältnis der Figuren zueinander entspricht ebenfalls den Gepflogenheiten der Zeit, als in der künstlerischen Darstellung die Hauptfigur stets größer war als die anderen; übrigens war unsere Heilige ja eine Große dieser Welt, und der Arme nur ein Kleiner. Die religiöse Bedeutung offenbart sich in mehreren Zeichen. Zunächst verweist die Statue auf ihre durch ihren Glauben begründete Frömmigkeit, daher das festgebundene Buch in ihrer linken Hand, welches die Bibel darstellt. Wer sie von vorne betrachtet, muss sich bewegen, um rechts die kleine Figur zu entdecken, die, beinahe von der Heiligen versteckt, nur wenig Platz einnimmt. Es handelt sich um eine bedürftige Person, wie man es am leeren Beutel erkennen kann. Ein einbeiniger Mann, der sich nur mit Hilfe seiner
Krücke bewegen kann. Sein Gesicht, mit markanten und durch Not gealterten Zügen, kontrastiert heftig mit dem harmonischen und anmutigen Gesicht der Heiligen. Sie gibt ihm diskret mit ihrer rechten Hand einen Laib Brot, den er dankbar entgegennimmt. Warum diese kaum sichtbare Geste? Die Diskretion des Almosengebens steht im Einklang mit dem Gebot des Evangeliums: Wenn du Almosen gibst, lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte Hand tut. Das Brot befindet sich also ganz natürlich an seinem Platz, in der rechten Hand.
Sie werden es gemerkt haben: es mangelt nicht an Gründen, sich für dieses mittelalterliche Werk zu interessieren. Bei Ihrem nächsten Besuch, schauen Sie es genauer an und Sie werden Ihre Freude daran haben!
Francis Klakocer
Ill. : Ernest Muller / Wikipédia