Der Mythos Erwin

Erwins Figur hat im künstlerischen Bereich eine Starke Verbreitung gefunden: zahlreiche Gemälde und Skulpturen feiern ihn immer wieder. Theophil Schulers Gemälde Der Bau des Münsters, 1842, legt davon ein beredtes Zeugnis ab und treibt den Geniekult auf die Spitze.

Erwin

Im Mittelpunkt des Gemäldes stehen die Baustelle des Münsters und dessen Erbauer.

Der blauschwarze Hintergrund, vor dem sich das Gebäude abhebt, erweckt den Eindruck, daß man sogar bei Einbruch der Dunkelheit noch hart daran arbeitet. Massiv und imposant dominiert das Münster die Szene, die es fast vollständig einnimmt. Es befindet sich noch im Aufbau, wie der unfertige Bogen und das Gerüst auf der linken Seite zeigen. Dorthin führt auch die diagonal von rechts aufsteigende, durch den Zug der Arbeiter angedeutete Hauptachse des Bildes.

Hier wird das Münster zum Werk des gesamten Volkes. Die Fuhrleute, mit gebeugten Körpern und weit gespreizten Beinen, schieben mit aller Kraft einen mit behauenen Steinblöcken schwer beladenen Wagen. Ihnen folgt vom rechten Bildrand kommend ein Pferd, dessen Körper die schmerzhafte Spannung zum Ausdruck bringt, die von der peitschenden Hand seines Reiters hervorgerufen wird. Allenthalben ist das Gewimmel der Figuren so groß, daß das Münster zu einem titanischen Werk wird, dessen Konstruktion eine Vielzahl von Handwerkern mobilisiert. Handlanger, Steinmetze, Arbeiter, auf dem Dach oder auf dem Gerüst stehend, alle sind sie hier an einem Gebäude tätig, das zum Stolz einer Stadt werden soll.

In der Bildmitte, durch die pyramidenförmige Bildkomposition und ihre erhöhte Position symbolisch hervorgehoben, erscheinen stehend die Hauptfiguren. Mönche und Knechte bieten den Protagonisten dieses grandiosen Dramas Speis und Trank dar. Wir erkennen Meister Erwin, der sich leicht gebeugt an Bischof Konrad wendet, um ihm eine seiner Zeichnungen zu zeigen, die er ausgerollt in seiner rechten Hand hält. Hinter dem Geistlichen steht Sabine, Erwins angebliche Tochter, mit einem Hammer in der Hand. Sie erscheint hier als Bildhauerin, wie es der Mythos ihrer Beteiligung an der väterlichen Meisterleistung verlangt.

Theophil Schuler gelingt es mit seinem Gemälde, einer Aufgabe, welche die Arbeit des Menschen sublimiert, Bedeutung und Intensität zu verleihen.

Francis Klakocer

Nachgelesen von M. C. Schurr, Vorstandsvorsitzender des Strassburger Münstervereins.
Ill. : Strasbourg, Musée historique © Service photographique des Musées de Strasbourg, © PLISSON

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