Das Gewölbe und der See unter dem Münster

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Der unterirdische See des Straßburger Münsters ist nur eines der zahlreichen Themen, an denen viele Mythomanen, ewige Liebhaber von Mysterien, Mystik und Spiritismus, von jeher ihren Spaß fanden. Schneegans\’ Text greift dies auf.

Etliche von den gemeinen Leuten (deren noch etwelche sich finden möchten) sind zwar dieser Meinung gewesen, daß unter dem Münster ein lauteres Gewölbe sei, also daß man mit einem Schiff darunter hin und her fahren könne; den Eingang habe man in einem Keller gerade gegen dem Münster über, in einer Behausung nebst der Eck-Apotheke zum Hirsch genannt, darinnen voriger Zeit ein Barbierer Namens Geßler, und dieser Zeit auch einer mit Namen Moses  (wie auch der selbige Ahne dem Haus angemalt ist ) suchen müssen.

Sei ein Loch mit einer Tür verwahrt gewesen: als man aber die Tür geöffnet, sei ein starker Wind hervorkommen, welcher auch allen denjenigen so mit Lanternen hinein gewollt ihre Lichter verlöscht. Auch habe man sich zum öfteren bemüht mit Stangen zu erforschen wohin etwa solche Höhle sich wenden tät, aber man weniger denn nichts ausgerichtet, sintemal selbige Personen ein Grausen ankommen, dass sie unverrichteter Sachen ihren Rückweg haben suchen müssen. Auch ist ausgesagt worden, wenn das Wasser gestiegen, so seien aus solchem Loch Schlangen, Blindschleichen, Kröten und dergleichen Ungeziefer hervorkommen. Dass man aber von diesem Unheil befreit worden, habe man solche Tür lassen vermauern und mit Geröll überschütten. Auf dass man nun die rechte Gewissheit, dieses Umstands, oder vielmehr ungegründeten spargiments willen, möchte an das Tageslicht kommen, ist (zwar wie man sagt) auf Befehl E. E. Rats ein Maurer dahin abgefertigt worden, der das Werk unverzüglich angegriffen und nachgesucht, aber dass solches nur ein bloßes erdichtetes Wesen gewesen, befunden. Eben dergleichen ist auch [von] des damaligen Herrn Wessners, Apothekers im Hirsch, welche Herr Spielmann am Eck anjeso innen hat, und Herrn Roben, des Kaufmanns, Keller nächst daran bei dem Münster, ebenmäßiges gedacht worden, so aber auch falsch gewesen, und also von allem dem nichts Hauptsächliches des Fundaments halben erkundigt werden können.

Noch heutzutage lebt diese Sage in Erinnerung des Volkes fort. Noch jetzt gibt es viele, die steil und fest behaupten, das ganze Münstergebäude sei auf einem ungeheuren Roste oder Gewölbe erbaut worden, unter welchem sich ein See befinde, auf dem man, in einem Kahne, durch unterirdische Gänge und Kanäle, bis zu dem Orte hin- und herfahren könne, wo, noch vor wenigen Jahren, der im Jahr 1576 errichtete Fischbrunnen gestanden.

Ludwig Schneegans, Straßburger Münstersagen, 1852 (Zur bessern Lesbarkeit wurde die Rechtschreibung aus dem Jahr 1852 an heutige Verhältnisse etwas angepasst. Wortwahl, Satzbau und Grammatik blieben unverändert.)

Im Kommentar, der seinem Text folgt, fügt er hinzu, dass diese Legende ihren Ursprung wahrscheinlich Specklins Collectaneen (Band 1) verdankt. Allerdings habe Letzterer sich selbst auf frühere Quellen gestützt, die nach ihm von Schadäus und späteren Autoren, darunter Heckheler, aufgegriffen wurden. Alles beruhe auf Specklins Behauptung, daß man im Jahre 1015 als Bischof Werner I. das Münster 1015 neu umzubauen begann, das Fundament „mit Erlen Pfälen ins Wasser geschlagen und geleget habe. Die Legende habe erst mit Heckhelers Bericht, einer Zusammenstellung seiner persönlichen Lektüre, wirkliche Substanz und Konsistenz erhalten.

Und dies so sehr, dass diese Legende auch heute noch Teil der mythischen Aura ist, die das Münster mit einem nebligen Heiligenschein umgibt. Um sich dessen zu vergewissern, brauchen Sie nur im Internet nachzuforschen, wo es nicht an Webseiten zu diesem Thema mangelt. Hier nur ein Beispiel, an dem Sie Ihren Scharfsinn beweisen können. Öffnen Sie dieses Video (auf Französisch), nachdem Sie den Ton eingeschaltet haben, und sehen Sie es sich genau an. Was schließen Sie daraus?

Die Antwort liegt auf der Hand: Mythen klingen nicht nur wie Mythisierung, sondern auch und vor allem wie Mystifizierung.

Louis Schneegans, Strasburger Münster-Sagen
Zusatz: Francis Klakocer; Nachlesung: Wolfdietrich Elbert
Ill.: archi-wiki.org

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