Der Brunnen im Münster

Im heiligen Götter-Haine, bei den drei Buchen, neben dem Opfermale, sprudelte eine in einen Bronnen gefaßte und geheiligte Quelle.

class=wp-image-1212
Isaac Brunn, Intérieur de la cathédrale de Strasbourg, 1630

Hier wuschen, in der alten Heidenzeit, die Priester die Opfer, welche dem furchtbaren Gotte des Krieges dargebracht wurden.

Und die Quelle war so lieb den Stämmen weit umher, daß sie erhalten wurde zur Zeit, als Chlodwig, der fromme Frankenkönig, das Heidenthum verdrängte aus den elsäßischen Bauen.

Der heilige Remigius, welcher den König selbst, einer Ueberlieferung zur Folge, an eben dieser Quelle getaufet hatte, weihete die Letztere ein zur Ehre Gottes, auf daß sie forthin zur Taufe dienen sollte, wie sie zuvor zur Abgötterei gedienet hatte. Und als hernach Chlodwig, auf der Stätte, wo der heilige Hain gestanden hatte, das erste christliche Münster erbaute, wurde dieser geheiligte Bronnen mit eingeschlossen in des neuen Gotteshauses schützende Mauern.

Und lange, lange Jahrhunderte hindurch, wurden Tausende und Tausende getaufet aus dieser Quelle, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Lange Jahrhunderte hindurch wurde das Wasser aus dieser Quelle nicht bloß in der Stadt zur Taufe gebrauchet, sondern auch für viele Kirchen auf dem Lande holte man, nach uralt hergebrachter Gewohnheit, aus dem Münsterbronnen das Wasser für die Taufe, weswegen er, zur Straßburg und auf dem Lande, vom Volke gewöhnlich nur Kindelsbrunnen genannt wurde. Noch jetzt, beredet man, zu Straßburg, die Kinder, daß alle neugeborene Kinder aus dem Münsterbronnen geschöpft werden.

Was sollen wir von dieser Legende halten?

Im Anschluss an seinen Bericht zitiert Schneegans seine Quellen und liefert die Ergebnisse seiner persönlichen Untersuchungen.

Er bezieht sich dabei insbesondere auf Oseas Schadeus, Autor des Summum Argentoratensium Templum (1617), und gibt diesen Auszug:  Der ältesten Stuck im Münster ist der Brunnen gegen der Cantzel uber / dann derselb / was die Quell betrifft / soll noch der jenige Brunnen im Münster sein / bey welchem man im Heydenthum  die Opfer / so dem Herculi zu gefällen sind uffgeopfert und verbrandt worden / gewaschen : den hat danach S. Remigius zun Zeiten Clodovae  geweyhet und befohlen / daß wie man ihn zuvor zur Abgötterei gebraucht / also man ihn forthin zur heyligen Tauff brauchen / Daher in folgender zeit die gewonheit entstanden / daß man das Tauffwasser nicht allein für die Kirchen in der Stadt / sondern auch theils im Land auß diesem Brunnen geholt : Welche gewonheit auch biß unser Vorältern unnd die zeit der reformation gewäret hat.“ (Monique Samuel, in Bulletin de la cathédrale de Strasbourg, 2014, S.244).Wie wir es feststellen können, hat sich unser Autor offensichtlich von Schadeus Text inspirieren lassen.

Schneegans fügt ferner hinzu: „Erst nach der Einführung und Feststellung der Reformation in Straßburg nahm dieser uralte Gebrauch ein Ende. […] Der Bronnen befand sich gerade vor dem Hauptpfeiler, nahe der Kirchenmauer, wenn man durch das Seitenportal von der Steinmetzenhütte, in die südliche Abseite tritt. Er war vier und dreißig Schuhe tief. Im Jahre 1693 stürzte ein französischer Soldat hinein und ertrank. Erst im Jahre 1766 wurde die Oeffnung mit einem Steine zugedeckt und geschlossen.“

Heißt es, wir sollten allem Glauben schenken, was Schneegans in seinem Text erzählt? Keinesfalls. Und dies trotz der Erwähnung früherer Dokumente, der Genauigkeit bestimmter Daten und der Lage des Brunnens, dessen genaue Tiefe er sogar angibt. In der Tat entpuppt sich Schneegans als geschickter Erzähler, der aus seinen Quellen zu seinem eigenen Vergnügen und dem seiner Leser etwas stickt. Noch besser: in seinem kritischen Kommentar unterstreicht er die auffällige Ähnlichkeit dieser Legende mit einem Brunnen in der Kathedrale von Chartres, welche ebenfalls auf die Druiden zurückführt. Merkwürdig, nicht wahr?

Schließlich ist auch noch anzumerken, daß bis heute keine ernsthafte Studie zu diesem Thema veröffentlicht wurde, während es im Internet eine Fülle von vertrauensunwürdigen Seiten gibt. Alle nur reine Kompilationen, pure Extrapolationen, und bloße Affabulationen.

Trotzdem ist nicht alles erfunden. Den Brunnen hat es tatsächlich gegeben. Ein Beweis dafür ist der Stich von Isaac Brunn, der aus dem Jahr 1630 stammt und auf welchem man den Brunnen rechts im Hintergrund erkennen kann, daher im Zusammenhang mit der Schneegans Erwähnung. Darüber hinaus, wissen wir, daß er tief genug war um Wasser aus dem Grundwasserspiegel zu entnehmen; da er aber die religiösen Prozessionen hinderte, wurde er 1617 abgebaut.

Alles Andere ist Dichtung ohne Wahrheit.

Louis Schneegans, Strasburger Münster-Sagen
Zusatz: Francis Klakocer, mit Dr. Stéphanie Winzerith
Ill.

Nach oben scrollen