Am Festtage St. Johannis des Täufers im Jahre 1007, kam ein schreckliches, gräuliches Wetter über Straßburg. Blitz fiel auf Blitz; der ganze Himmel schien ein endloses Feuermeer und furchtbar dröhnte der Donner hinten drein.
In diesem grässlichen Unwetter schlug des Himmels Feuer in das Münster und in St. Thomas Kirche. Beide Gotteshäuser gingen auf in Flammen; beide brannten nieder, von Grund aus, mit mehr denn einem Dritteile der ganzen Stadt.
Schwer ging dieses namenlose Unglück Bischof Wernern zu Herzen.
Zuerst errichtete er durch das ganze Land eine allgemeine Steuer und ein Almosen, um zuvorderst die armen, durch die Feuersbrunst zu Grunde gerichteten Bürger und Einwohner in Stand zu setzen ihre Häuser wieder aufzubauen, und um sodann die eingeäscherten Kirchen durch neue zu ersetzen.
Hernach erteilte Bischof Werner großen Ablass und Vergebung der Sünden allen denen, welche durch Geld, durch milde Steuern und andere Beihilfe zur Wiederherstellung der gänzlich zerstörten Kathedralkirche beitragen würden.
Im ganzen Lande und auch außerhalb des Bistums, forderte und sammelte man Unserer Lieben Frauen zu ihrem Bau. Überall gaben die Gläubigen mit frommem Sinne und willigen Händen. Geistliche und Weltliche steuerten in so reichlichem Maße, daß ein namhaftes Gut zusammengebracht wurde, daß man anfing von einem großen und kostbaren Bau zu beratschlagen, und daß man die geschicktesten und berühmtesten Werkmeister, aus fernen Landen herberufen konnte.
Acht volle Jahre brachte man zu mit Einsammeln der nötigen Hilfsmitteln und mit Herbeischaffung der Materiale zum beabsichtigten herrlichen Bau.
Erst im Jahre 1015 begann man das alte Fundament der ursprünglichen Kirche Chlodwigs hinweg zu räumen und sodann nach einem neuen, tiefen und guten Fundamente zu graben. Einer alten Sage zu Folge, wurde das selbe mit erlenen Pfählen befestigt, welche mit einem gewaltigen hölzernen Hammer, der vor Zeiten auf dem städtischen Zimmerwerkhof aufbewahrt gewesen sein soll, in das Wasser geschlagen wurden, und darauf erst fing man an, nach Specklins Bericht, „ von klaren, gehauen Quader bauen.“
Mächtige Steinblöcke wurden aus Unserer Lieben Frauen Steingrube, im Kronthal bei Wasselnheim herbeigeführt, um ununterbrochen mit dem Werke weiter aufzufahren. Das ganze Land fronte zu dem Bau. Von nah und fern, bis von zehn und zwölf Meilen, und noch von weiter her, kamen die Fuhrleute und führten die Steine herbei, Gott zu ehren und seiner lieben Mutter. Alle Welt wollte selig werden an dem Bau, und, mit dem vom Bischof verheißenen Ablass der Seele Heil verdienen und sichern.
Neben der Baustätte, auf dem geräumigen Platz, auf der Mittagseite, standen große Hütten aufgeschlagen. Darinnen gab man allen Frönern zu essen und zu trinken.
Und daher soll, so erzählt es die Sage, jener Platz der Fronhof geheißen worden sein, wie derselbe noch heutigen Tages genannt wird.
Louis Schneegans, Strasburger Münster-Sagen
Ill.: Strasbourg, Cabinet des Estampes et des Dessins – M. Bertola / Musées de la Ville de Strasbourg