Die Stiftung der Chorkönigspfründe

Im Jahre 1012 kam der römische König Heinrich II. nach Straßburg und wohnte hier etliche Wochen.

Keines Tages versäumte der heilige König den Gottesdienst im Münster. Des Morgens bei der Hochamte, des abends bei der Vesper und in der Nacht sogar, wenn Mettin (Nachtmesse oder Frühmesse) gesungen wurde, saß Heinrich im Chore bei Bischof Werner, seinem treuen Freunde und Rate.

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Bamberger Dom – Grab Heinrich II. und Kunigunde

Mit jedem Tage fühlte sich der König wohler und heimlicher im Münster. Täglich erhob ihn mehr die einfache, anspruchslose Frömmigkeit und die innige ungeheuchelte Andacht der Brüder Mariens[i]. Nirgends hatte er noch sämtliche gottesdienstliche Handlungen mit höherer Würde und feierlicherer Weihe begehen sehen. So sehr erhob und entzückte den König die in Werners Münster befolgte Ordnung und Regel, daß allmählich der Wunsch in ihm rege wurde, immerfort zu weilen in dem hehren Heiligtume, inmitten der Brüder, und sich mit ihnen himmelan zu schwingen im Gebete, mit Messelesen und Singen.

Immer tiefer, immer inniger, immer unwiderstehlicher wurzelte in des frommen Königs Gemüte der Wunsch den Rest seiner Tage zu verleben in Gemeinschaft mit den Brüdern der Straßburgischen Münsterkirche,  und mit ihnen Gott allein zu dienen mit Gebet, mit Andacht und Lobgesang, denn es waren alle hohe Grafen und Freiherren, die da ein heilig, selig, geistlich Leben führten. Bald stand der Entschluss fest und unerschütterlich bei dem Könige sich aufnehmen zu lassen in Marias Brüderschaft und unter ihrem Schutze, in ihrer Kirche, sein Leben zu beschließen.

Umsonst war alles Flehen und Abhalten seiner Hofleute und Räte; vergeblich Aller Widerraten, umsonst Aller Bitte, daß Heinrich das Reich nicht verlassen möge, daß er mit so großer Mühe nur im Frieden zu erhalten vermochte! Umsonst eröffneten seine Freunde und Höflinge vor seinen Augen die trübe Zukunft, welches das Reich warten würde, wenn er auf sein Vorhaben bestände! Eben so vergeblich aber wie ihr Flehen blieben alle ihre Vernunftgründe! Unabänderlich fest stand in des heiligen Königs Seele der Entschluss seine Tage zu enden, als Priester, in Marias Brüderschaft, in Werners Münster.

Eines Morgens, nachdem das Hochamt, in seiner Gegenwart, auf das feierlichste begangen worden war, trat Heinrich, tief ergriffen, zu dem Bischofe vor den Altar und bat mit innig bewegter Stimme, ihn aufzunehmen in die Zahl der Brüder!

Umsonst bemühte sich nun auch der Bischof den König zu bewegen, diesem für das Reich so unheilvollen Entschlusse zu entsagen. Vergeblich vereinten abermals die königlichen Höflinge und Räte, ihre Vorstellungen, um Heinrichen abzubringen von seinem Vorsatze. Auch jetzt wieder prallten alle Vorstellungen ohnmächtig ab an des Königs unwiderruflichen Entschlusse.

„Wohlan, denn“ – sagte Werner zu dem Fürsten, als er sah, daß nichts mehr ihn abzuhalten vermochte von der Vollführung seines Vorsatzes, – „wohlan, denn, so nehme ich dich auf in der Brüder Zahl! Doch nun, als mein Untergebener, gelobst und schwörst du, hier vor dem Altare, im Angesichte des dreieinigen Gottes, gehorsam zu sein, mir deinem Bischofe und Obern, und fernerhin deinen Willen zu unterordnen demjenigen deiner Vorgesetzten, und stets willig ohne Widerrede noch Widerstreben, streng und genau alles das zu tun und zu vollführen was die Kirche dir vorschreibt und gebietet, und was ich, als dein Oberer, und deine übrigen Vorgesetzten, im Namen der Kirche, dir zu tun oder zu unterlassen befehlen werden?“

Und freudig gelobte es der König dem Bischofe mit Hand und Mund, im Angesichte Gottes und in Gegenwart der Brüder, der Höflinge und alles Volkes.

Aufgenommen war er somit in die Reihen der Brüder! Entladen der schweren Last der Krone, die sein edles Haupt so peinlich gedrückt hatte!

„Nun aber!“ – begann hinwiederum der Bischof, mit ernster, feierlicher Stimme, – „nun aber, mein Sohn, im Namen und in Ausübung der Gewalt und der Macht, die mir verliehen ist von Gott, dem Allmächtigen und von seiner Kirche; nun aber gebiete ich dir, als dein rechtliches Oberhaupt, die Krone wieder aufzunehmen, welche dir Gott verliehen hatte, und sie fernerhin zu tragen zu deiner Seele Heil und Frommen und zu des heiligen Reiches Ruhm und Wohlfahrt!“

Tief erschüttert in seiner Seele, stand der König bei dem Bischof vor dem Altar. Ach! allzu schwer, unerträglich schien ihm das Opfer, das ihm auferlegt war!… Dennoch musste er sich fügen voll Ergebung, denn nur Gehorsam gebot ihm, durch den Mund seines Bischofes, die Kirche, deren Befehle sein frommes Herz sich unbedingt zu unterwerfen von jeher gewöhnt war.

Abermals ergriff also Heinrich, zum Glück des Reiches und der seiner Leitung und Obhut anbefohlener Völker, Krone und Zepter.

Weil er aber selbst nicht bei den Brüdern bleiben durfte, im stillen Heiligtume, um dort mit ihnen Gott zu dienen mit Gebet und Gesang; und damit er, fernerhin, im Chore seines teuren Münsters ersetzt und vertreten sei, stiftete er an dem selben eine reichbegabte Pfründe für einen Priester, der in Zukunft, in ewigen Zeiten, an des Königs statt, auf dem Chore für ihn singen und messen lesen sollte.

Und auch die Münsterkirche selbst und die Brüder begabte Heinrich hoch mit Freiheiten, Rechten und Privilegien, und mit kostbaren Reliquien und Heiligtümern. Und Jahrhunderte hindurch saß in den Chorstühlen des Münsters, der erste in den Reihen der Stiftsherren des Hohen-Chors, der Prälat, welcher des Königs oder Kaisers Pfründe genoss. Und zum andenken an die Stiftung, nannte man denselben des Chores König und seine Pfründe des Chorkönigs Pfründe im Münster.

Louis Schneegans, Strasburger Münster-Sagen
Ill.: Wikimedia Commons


[i] So, Fratres Sanctae Mariae, nannte mal damals die Priester und Geistlichen im Münster.

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