Sabine Bengel, Cécile Dupeux, Ein außergewöhnlicher Ankauf: die Zeichnung des hohen Turms

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Aus Anlass des Ankaufs der Johannes Hültz zugeschrieben Zeichnung des hohen Turms des Münsters (um 1419) durch die Straßburger Museen fand am 18. Januar 2023 im Münsterhof ein Vortrag statt, in dem Francis Limon (Notar und einer der Vizepräsidenten des Münstervereins), Sabine Bengel (Kunsthistorikerin an der Fondation de l’Oeuvre Notre Dame) und Cécile Dupeux (Direktorin des Musée de L’Oeuvre Notre Dame) die verschiedenen Aspekte dieses Ereignisses beleuchteten.

Die mit großer Wahrscheinlichkeit aus der ‚Sammlung‘ der Architekturzeichnungen der Münsterbauhütte stammende Zeichnung, die möglicherweise in den Wirren der Französischen Revolution dort entwendet wurde, in Dijon wiederauftauchte und Mitte des 19. Jahrhunderts dort von dem Pariser Architekten Saint-Père erstanden wurde, befand sich vor kurzem in Privatbesitz. Man wusste von ihrer Existenz, da Gustave Klotz 1851 eine Kopie hatte anfertigen lassen, nachdem Saint-Père die Rückgabe verweigert hatte. Die Originalzeichnung tauchte 2018 überraschend im Kunsthandel auf, sollte vom Auktionshaus Sotheby’s in Paris versteigert werden, wichtige Museen in New York, Kanada und der Schweiz waren im Rennen. Glücklicherweise wurde für die Zeichnung ein Ausfuhrverbot verhängt und diese wenig später als national wertvolles Kulturgut („Trésor national“) eingestuft. Nach französischem Recht kann dieses Label an Kulturgüter vergeben werden, deren kultur- und kunsthistorischer Wert einen besonderen Status und Schutz rechtfertigt. Im Verlauf der Ankaufsverhandlungen einigten sich zwei Sachverständige auf den stolzen Preis von 1.750.000 €, zu dem der Besitzer schließlich bereit war, das 205 cm hohe Werk zu verkaufen. Parallel liefen die Anstrengungen, um die nötigen Gelder zusammenzubringen. Dieser bedeutende Ankauf erfolgte im Jahr 2022 im Rahmen eines in Artikel 238bis 0A des französischen Steuerrechts vorgesehenen Finanzierungsmodells, das ein gemeinsames Mäzenat der Bank Crédit Mutuel und des Straßburger Münstervereins mit Unterstützung des Kulturerbefonds des französischen Kulturministeriums sowie der Stadt Straßburg ermöglichte. Die Restaurierung der Zeichnung im Oktober 2022 wurde von der Münsterbauhütte (Fondation de l’Oeuvre Notre Dame) finanziert. Die Zeichnung ist seit dem 21. Januar drei Monate lang samstags und sonntags von 14 Uhr bis 18 Uhr im Musée de l’Oeuvre Notre Dame zu sehen.

Es handelt sich aus mehreren Gründen um ein besonderes Ereignis. Nicht nur wegen des Kaufpreises, und weil jahrelange Anstrengungen von Seiten zahlreichere Persönlichkeiten nötig waren, um den Kauf zu ermöglichen. In Straßburg wird einer der größten Sammlungen mittelalterlicher Architekturzeichnungen aufbewahrt – seit dem 17. Jahrhundert gilt diese als solche als eine Attraktion, die es zu besuchen und eventuell zu kopieren gilt. Es handelt sich also um eine (Wieder)Ergänzung eines Ensembles, das auf Engste mit der Entstehung des Münsters verwoben ist. Diese Architekturzeichnungen dienten sowohl als künstlerische Entwürfe, als Vorlagen für die Auftraggeber, wie auch als Baupläne während der Ausführung. Aus heutiger Perspektive sind sie zusätzlich zentrale baugeschichtliche Dokumente, von hohem Wert für die Forschung. Im Falle der neuerworbenen Zeichnung dokumentiert diese ein Zwischenstadium der Planung für die letzte Phase des Baus des hohen Turms. Die Zeichnung wird Johannes Hültz zugeschrieben. Dieser wichtige Architekt kam 1419/20 aus Köln nach Straßburg, als Nachfolger von Ulrich von Ensingen. Mehrheitlich wird Hültz, der 1449 in Straßburg starb und in hohem Ansehen stand, als Urheber der Turmpyramide angesehen. Allerdings weicht der tatsächlich gebaute Turmhelm in seinem oberen Teil wesentlich von der Zeichnung ab. Von einem genauen Studium des Originals sind wohl neue Forschungsergebnisse zur Baugeschichte zu erwarten – die Kopie von 1851 war viel weniger detailliert und auch nicht mit den farblichen Höhungen versehen.

Sabine Mohr, mit Sabine Bengel
Ill. : M. Bertola – Musées de Strasbourg

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